Kriesen - wie kommt man da raus?
Krisen - wie kommt man raus?
Fast alle Überlebenden von Missbrauch geraten während ihres Lebens in tiefe Krisen.
Weshalb - wieso - wann? Es gibt vielfältige Arten solcher Krisen - ich kann nur von meiner eigenen Erfahrung berichten. Die Gründe liegen solange im Unbewussten, bis man sich den Auslösern stellt und sich selber(!) in der Therapie neu programmiert - regelrecht umprogrammiert - auf ein anderes Programm als das von kleinauf eingeimpfte, eingeprügelte und
eintraumatisierte Krisenprogramm!Eigentlich war mein Leben als Ganzes bis vor kurzem eine Dauerkrise - jedenfalls nach den Maßstäben von Menschen, die ein glückliches Leben führen (können). Im Elternhaus sexuell missbraucht, herabgesetzt und geprügelt, trotzdem zu guten Schulnoten angehalten (was ich zum Ausgleich meines total
demolierten Selbstbewusstseins dann auch ausführte). In der Schule von den anderen Kindern gehänselt. In der zweiten Klasse, weil ich angeblich bei meiner Mutter im Bett war. Später im Gymnasium, weil ich ein Streber war (der gute Noten für sein Selbstbewusstsein und zum Erhalt des inneren Gleichgewichts brauchte) und man mit mir fast alles machen konnte, ohne dass ich mich wehrte. Immer wieder Panikanfälle. Zum Beispiel ab der Pubertät, wenn ein Mädchen vielleicht was von mir wollte. Oder wenn ich in eine fremde Stadt fuhr: ich hatte Angst, auf offener Straße von anderen Jugendlichen gehänselt oder geprügelt zu werden. Im Studium immer wieder Depressions-Anfälle. Nur nicht als solche erkannt - das passte nicht zu meinem Selbstbild. Immer wieder Angst vor der existentiellen Vernichtung. Dann suchte ich mir unbewusst eine Freundin, die irgendwann (es muss noch vor der Hochzeit gewesen sein) anfing, mich ähnlich zu behandeln wie meine Mutter. Ohne dass mir das bewusst war. Weil ich es ignorierte - und manchmal bei Attacken switchte, d.h. in einen anderen dissoziativen Zustand umschaltete, so dass ich mich anschließend nicht mehr an das erinnern konnte, was sie mir vorgeworfen hatte und wie sie mit mir umgegangen war. Ich habe mehrmals live mitbekommen, wie sie von ihrer Mutter heftig angefahren (zur Schnecke gemacht) wurde - aber ich bekam nicht bewusst mit, wenn sie das dann auch bei mir machte! Ich war unglücklich, ohne dass mir die Ursache bewusst war. Schließlich war ich von kleinauf nichts anderes gewohnt! Die eigentliche Krise kam, als mir der Missbrauch durch meine Mutter bewusst wurde. Ich konnte es einfach nicht wahrhaben. Mein Verstand und mein Gefühl waren total gespalten. Widerspruch total.Beispiel: Aufdeckungs-Krise
Ich konnte oder wollte einfach nicht glauben, was geschehen war. Selbst dann noch nicht, als meine Mutter angerufen und es zugegeben hatte. Ein Teil in mir wollte und konnte es trotzdem nicht glauben. Ich machte mir einen Zettel, den ich immer im Geldbeutel mit mir trug und auf dem ich einige Erinnerungen notiert hatte, die ich nicht erfunden haben konnte. Beispielsweise der Gesichtsausdruck und die für mich als Kind total überraschende und angsterzeugende Reaktion meiner Mutter, als ich sie bei der von ihr erzwungenen Masturbation zum Orgasmus brachte. Ich wusste als Kind nicht, was ein Orgasmus war und bekam in diesem Moment heftige Angst und Panik, dass ich irgendetwas falsch gemacht und ihr weh getan (beinahe umgebracht) hätte und dass ich deswegen gleich von ihr nochmals Prügel bekommen würde (da ich es ja sowieso nie richtig machen konnte). In meiner Erinnerung konnte ich sehr genau die Szene schildern, die mir fast wie live erschien. Aber die Interpretation, dass das ein Orgasmus gewesen sein musste, war mir nur als Erwachsener möglich. Eben weil meine Erinnerung diese Interpretation nicht enthielt, musste sie echt sein. Denn als Kind konnte ich das nicht erkannt haben. Es gehört einfach nicht zum normalen Erfahrungsschatz eines Kindes. Das war meine Hilfskrücke, um mit diesem Zwiespalt umzugehen. Denn ich vergaß diese und auch andere Szenen immer wieder! Manche Erinnerungen kamen mehrfach hoch. Heute weiß ich, dass das ein
dissoziatives Muster war. Was mir in dieser Krise sehr geholfen hat, war das Aufschreiben. Ich konnte ja noch nicht mit anderen Menschen darüber reden, ohne dass ich heftige Angst und Panik wegen der Reaktion der anderen bekam. Mit meiner Frau hatte ich zu reden versucht. Genauer, ich hatte ihr den Brief an meine Mutter zu lesen gegeben, in dem ich ES beschrieben hatte. Ihr Reaktion darauf: sowas kann man doch nicht schreiben, und wenn ich mir es unbedingt mit meiner Mutter verderben will, dann soll ich den Brief doch abschicken. Ich habe den Brief trotzdem abgeschickt. Die flashback-artigen Erinnerungen waren einfach zu heftig, und ich war innerlich so stark zerrissen, dass ich mir von dem Brief die Klärung erhoffte. Als dann die Antwort meiner Mutter kam, dass ich ihr das gleiche vorwerfen würde, was sie jahrelang ihrer eigenen Mutter nachgetragen hatte, rutschte ich in eine noch tiefere Krise.Das war Aufdeckungs-Krise pur. Aber es hatte sein Gutes: wenn Leugnen nicht mehr möglich ist, verkürzt sich die Dauer der Krise. Ich bereue diese Krise trotz ihrer Heftigkeit nicht. Indem ich sie überstanden und überwunden habe, öffnete sich für mich die Tür zu einem neuen Leben. Das ist die eigentliche Botschaft jeder Krise.
Wie kann man Krisen überwinden?
Indem man sich fragt, was die Ursache ist, und was die Krise einem sagen will. Eine Krise möchte, dass sich etwas verändert.
Dass ich etwas verändere. Und dass ich mir dazu wirksame Hilfe hole. Am besten therapeutische Hilfe, wie auf der Seite über Dekompensation beschrieben. Der Therapeut wird dann genau diejenigen Ressourcen erarbeiten, die zur Bewältigung der Krise am besten geeignet sind. Ressourcen sind das A und das O für die Krisen-Bewältigung, zusammen mit der festen Motivation, die Krise zu überwinden und dafür auch etwas aus eigenem Antrieb zu tun.