MPS Teil 2
Dissoziation (Psychologie)
Der Begriff Dissoziation beschreibt laut Definition des DSM-IV die Unterbrechung der normalerweise integrativen Funktionen des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung der Umwelt. Dissoziation im psychiatrischen und/oder psychotherapeutischen Sinne kann als ein Defekt der mentalen Integration verstanden werden, bei der eine oder mehrere Bereiche mentaler Prozesse vom Bewusstsein getrennt werden und unabhängig voneinander ablaufen (Abspaltung von Bewusstsein). Demgegenüber umfasst Konversion somatische, also sensorische und motorische Phänomene.[1]
Im Gegensatz dazu werden in der Klassifizierung der ICD 10 die Begriffe dissoziative Störung und Konversionsstörung synonym verwendet. Das allgemeine Kennzeichen der dissoziativen oder Konversionsstörungen besteht danach in teilweisem oder völligem Verlust der normalen Integration der Erinnerung an die Vergangenheit, des Identitätsbewusstseins, der Wahrnehmung unmittelbarer Empfindungen sowie der Kontrolle von Körperbewegungen.[2]
Bei Dissoziationen handelt es sich um eine vielgestaltige Störung, bei der es zu einem teilweisen oder völligen Verlust von psychischen Funktionen wie des Erinnerungsvermögens, eigener Gefühle oder Empfindungen (Schmerz, Angst, Hunger, Durst, …), der Wahrnehmung der eigenen Person und/oder der Umgebung sowie der Kontrolle von Körperbewegungen kommt. Der Verlust dieser Fähigkeit kann von Stunde zu Stunde wechseln.
Geschichte
Das Dissoziationsmodell hat sich im 19. Jahrhundert aus der Assoziationspsychologie entwickelt und wurde anfangs zur Interpretation von Hysterie, Vorgängen bei Hypnose und von Beobachtungen von Verdoppelungen oder Vervielfachungen von Persönlichkeiten angewandt. In den Theorien der damaligen Zeit (um 1880) wurde vor allem das Trauma als Auslöser von Dissoziationen gesehen. Erst 1970 bekam das Dissoziationsmodell wieder Beachtung, nachdem es zwischen 1920 und 1970 deutlich weniger aktuell war. Dissoziation bedeutet eine Unterbrechung des Stroms des Bewusstseins, Abspaltung von Gefühlen, Körperwahrnehmung und Emotionen, der Erinnerung, der Identität und der Wahrnehmung der Umwelt.
Nach neueren Forschungen[3] (um 2006) werden die Psychosomatische Störung und Konversionsstörung dem Oberbegriff Somatoforme Dissoziation zugeführt und (in Abgrenzung zur psychoformen Dissoziation) den dissoziativen Störungen zugeordnet. Nijenhuis, Hart und Steele vertreten das durch neurobiologische Befunde unterstützte Konzept der Strukturellen Dissoziation.[4] Hiernach werden bei sehr schweren und kontinuierlichen Psychotraumatisierungen, insbesondere in der Kindheit, die symptomatischen Empfindungs- und Verhaltensmuster dauerhaft unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen (ego states) zugeordnet.[5] Die Autoren vertreten die Hypothese, dass die entsprechenden Verhaltensweisen, Empfindungen und Einschätzungen auch im späteren Leben, unabhängig von traumatisierenden Situationen, kaum vermieden werden könnten.
Patienten mit dissoziativen Störungen leiden oftmals unter chronischen Körpersymptomen, welche der Behandler als Dissoziationen seines Patienten verstehen sollte sowie als Zeichen der Desintegration der Gesamtpersönlichkeit. Die Symptome sind hier das Ergebnis einer instinktiven Überlebensreaktion des Menschen, ähnlich der von Tieren, und erzeugen Erregungs- oder Betäubungszustände. Die Betrachtung der Endorphin-Neurotransmitter auf biochemischer Ebene zeigt so ein neuartiges Verständnis der Dissoziation auf der Verhaltensebene.
Dissoziative Störungen
Es gibt unterschiedliche dissoziative Phänomene, die als Störung mit unterschiedlicher Intensität verlaufen. Im ICD-10 aufgeführt sind (u.a.):
dissoziative Amnesie (F44.0): Der betreffenden Person fehlen wichtige Erinnerungen zur eigenen Geschichte, weit über das Maß der normalen Vergesslichkeit hinaus.
dissoziative Fugue (F44.1): Hierunter wird das unerwartete Weggehen von der gewohnten Umgebung (Zuhause, Arbeitsplatz) verstanden, das bis zur Annahme einer neuen Identität bei gleichzeitiger Desorientiertheit zur eigenen Person führen kann (siehe auch: Wandertrieb).
Dissoziative (psychogene) Bewegungsstörungen (F44.4):[6] Sie machen 2,6 – 25% der Bewegungsstörungen in neurologischen Abteilungen aus.[7] Davon wiederum fallen 32.8% auf den psychogenen Tremor, 25% auf die psychogene Dystonie, 25% auf den psychogenen Myoklonus, 6.1% auf den psychogenen Parkinsonismus und 10.9% auf die psychogene Gangstörung.
Dissoziative Krampfanfälle (F44.5): dazu gehört der klassische Arc de cercle. Sigmund Freud hat eine Reihe von Fällen unter dem Begriff Hysterie beschrieben.
Ganser-Syndrom (F44.80) bzw. die Pseudodebilität
dissoziative Identitätsstörung (landläufig: Multiple Persönlichkeit) (F44.81): Nach dem DSM-IV (dem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen) müssen zwei oder mehr getrennte, völlig unterschiedliche Identitäten oder Persönlichkeitszustände vorhanden sein und im Wechsel das Verhalten des Betroffenen bestimmen. Diese Störung gehört nicht zu der Gruppe der Schizophrenie, auch wenn dies im landläufigen Begriff Spaltungs-Irrsein nicht ganz deutlich wird.
Weitere dissoziativen Phänomenen ohne ausdrückliche Nennung im ICD-10:
Depersonalisation: Hierbei handelt es sich um eine Veränderung der Selbstwahrnehmung, die Person fühlt sich fremd im eigenem Körper – sie beobachtet sich von außen. Dabei reagieren die Personen völlig angemessen auf ihre Umwelt. Allerdings können Sinneswahrnehmungen oder auch Körpergefühle wie Hunger und Durst gestört sein.
Derealisation: Dabei wird durch ein Gefühl der Unwirklichkeit die Umwelt als fremd oder verändert wahrgenommen. Sowohl Depersonalisation als auch Derealisation sind selten isoliert. Meist treten sie als ein Symptom anderer Störungen auf, z. B. im Zusammenhang von Panikattacken.
Licht- und Geräuschempfindlichkeit
Tunnelblick oder Thousand-yard stare
das Gefühl, als wäre der eigene Körper ausgeweitet (expandiert), so dass er sich breiter anfühlt als sonst
das Gefühl, als wäre der Körper "eingegangen", also winzig proportioniert
stationäre Gegenstände scheinen sich zu bewegen
Zeitverlust (die Empfindung, nur unvollständige Erinnerung an kurz zurückliegende Ereignisse zu haben)
Dissoziation als therapeutische Technik
Diese Fähigkeit des Menschen zur Dissoziation kann therapeutisch genutzt werden: In der Psychotherapie steht der Begriff für eine bewusst vorgenommene Veränderung der Wahrnehmung weg vom vollständig identifizierten Erleben zu einer "Meta-Position" (siehe auch Metaebene), aus der heraus sich der Mensch quasi "von außen" betrachtet (Heautoskopie), um seine Gefühle oder mentalen Vorgänge wertfrei zu erkennen (beispielsweise so, als ob man eine Situation, bei der man beteiligt ist, in einem Kinofilm betrachten würde). In der Gesprächstherapie, der Neurolinguistischen Programmierung und der systemischen Familientherapie ist die Dissoziation ein wichtiges Element der therapeutischen Arbeit, ebenso in der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie (PITT).
Mehr Informationen und Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Dissoziation_(Psychologie)
Klassifikation nachICD-10
F44.0 - Dissoziative Amnesie
F44.1 - Dissoziative Fugue
F44.2 - Dissoziativer Stupor
F44.3 - Trance- und Besessenheitszustände
F44.4 - Dissoziative Bewegungsstörungen
F44.5 - Dissoziative Krampfanfälle
F44.6 - Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen
F44.7 - Dissoziative Störungen [Konversionsstörungen], gemischt
F44.8 - Sonstige dissoziative Störungen [Konversionsstörungen]
F44.80 - Ganser-Syndrom
F44.81 - Multiple Persönlichkeit(sstörung)
F44.82 - Transitorische dissoziative Störungen [Konversionsstörungen] in Kindheit und Jugend
F44.88 - Sonstige dissoziative Störungen [Konversionsstörungen]
F44.9 - Dissoziative Störung [Konversionsstörung], nicht näher bezeichnet
http://www.dimdi.de/dynamic/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlamtl2006/fr-icd.htm
Ab dem 01.01.2009 ist zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung die ICD-10-GM Version 2009 anzuwenden.
http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/index.htm